Post

ع — Pharyngalerfahrung

Es fühle sich fremd an, sagst du, einen Buchstaben so weit hinten im Hals zu formen. Die Rachenmuskulatur zusammenzuziehen, anspannen, etwas Luft hindurchdrücken, dabei den Mund öffnen, so dass ein »A«-Laut entsteht, der gequetscht klingt. Ein tiefes, gequetschtes »A«. Aber kein klares »A«, vor allem der Quetschlaut, verbindbar auch mit anderen Vokalen oder alleine klingend.

Nicht nur fremd fühle er sich an. Er bereite geradezu Anstrengung. Du befürchtest, davon Muskelkater im Rachen zu bekommen. Und du versuchst es noch einmal: Du öffnest deinen Mund und suchst die Muskulatur, die noch hinter der Kehle liegt. Hinter dem Ort, an dem du gurgelst, noch darunter, fühlst du einen Muskelkranz und spannst dort an. Wie beim Gurgeln presst du dann einen Ton zwischen den diesen Muskeln hindurch, ohne Flattern. Deine Uvula, dein Zäpfchen, bleibt ruhig hängen und sieht sich deine Arbeit von oben aus an.

Lockeres Drücken bringt diese Klangfarbe hervor. Auf Englisch gibt es stimmhafte pharyngale Frikative nicht, auch das Deutsche kennt sie kaum. Aber du willst Arabisch sprechen. Und, obwohl es anstrengende Tonarbeit im Hals ist, wird das ‘Ain, Schriftzeichen: ع, erst schön, wenn es schwerelos erklingt.

ع — [ʕ] […] as if you had opened your mouth under water and constricted your throat to prevent choking and then released the constriction with a sigh

Dein Selbstversuch unter der Dusche endet in wüstem Verschlucken und Husten. Wer übernimmt eine so gefährliche Anleitung in ein Lehrbuch? Nein, du brauchst diese theoretischen Anleitungen nicht. Du kennst den Laut bereits.

Du kennst die deutschen Dialekte, hast mit den Lauten gespielt, die Register gezogen und früh die Vielfalt möglicher Laute kennen gelernt. Dir stehen die tiefen Rachenanspannungen eines Niederbayrischen »yuoah mai« zur Verfügung, dieser Aussprache des anerkennenden Desintresses, für das du nach dem »y«-Laut in der Kehle tiefer rutscht und den Rachen aktivierst und durch leichtes Pressen Richtung »oah« entspannst.

Du ziehst auch für die schwäbische Betonung deiner Erstplatzierung in »I bin d’ e’rschde« deinen Rachen zusammen. Das »R« versinkt so weiter hinten im Rachen, als es im Hochdeutschen der Fall wäre. Auch dieses Schwäbische »R« ist ein pharyngaler Konsonant. Du kennst die Übung also.

Aber dieses arabische ‘Ain sitzt noch tiefer im Schlund. Es bricht aus der Tiefe des Rachens hervor und spiegelt damit nach Ahmad al Farahidi den ersten Laut, die essentielle Stimme und die eigentliche Seele wider. Der arabische Gelehrte des achten Jahrhunderts verfasste das erste arabische Wörterbuch. In seinem Alphabet machte das ‘Ain den Anfang. Die weitere Reihenfolge folgte der Lautbildung nach vorn im Mund, bis zum mit der Spitze der Lippen gehauchten M.

Deine Pharyngalerfahrung wird sich also erweitern. Aber deine eigene Sprache enthält bereits die Vielfalt, um im Gegenspiel des Lauteformens mitzuspielen. Und wie bei einem Spiel wirst du weiter üben. Denn noch würgst du Wörter endend mit ‘Ain höflich aus dem Hals.

This post is licensed under CC BY 4.0 by the author.