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Vorratskammer der Sinne

In einer lauten Welt, die uns mit ihren persönlichen Erfolgen anschreit, bleibt eine ruhig und weise: Meine Oma, die mir die Sinne geöffnet und damit Demut beigebracht hat.

Ich hab’ Streusel aus der weißen Rührschüssel stibizt, als du nicht hinsahst. An der hellen, hölzern gerahmten Arbeitsplatte hielt ich mich fest, stieg auf den schweren, roten Schemel und konnte deinen Fingern kaum folgen, wie sie flink die restlichen Streusel über dem ausgerollten Teig verteilten. Die kullerten dann in die hintersten Enden und äußersten Ränder und blieben manchmal erst neben dem Kuchen liegen.

Ich dachte immer, du seist gefangen. Von einer Familie, einem herrschenden Mann, einer Kleinstadt, davon, keine Entscheidungen selbst getroffen zu haben. Ich dachte immer, du backst die Trauer über diesen Käfig hinein in die Süße der Streuselkuchen, überdeckst die harten Krusten der Krümel mit dem weichen Schleier der heißen Sahne. Ich dachte, ich wüsste was in dir ist, wie es außerhalb von mir ist.

Und dann haben wir Opa in die Erde gelassen. Ich nahm deine Hand und sah auf zu dir, wie du stumm stand’st und mir dann leise ein Lächeln schenktest. Und ich konnte nicht verstehen, wer würde jetzt für dich entscheiden?

Du schienst dann zu schrumpfen. Es war Sommer und wir standen in deinem Beet hinterm Haus, meine Augen auf deiner Höhe. Und du sagtest, vegetarisch hättest du kürzlich einen Nussbraten gebacken. Dann stieg mir dieser deftige Duft herzhaftester Nüsse, Sellerie und Möhren in Nase und Rachen und ich sog ihn in mich auf und legte ihn behutsam ab in meiner Vorratskammer der Sinne.

Du blickst jetzt hoch zu mir, wenn du fragst, warum der Trump gewählt wurde. Dein Blick richtet sich durch die dicken Gläser deiner Brille hindurch zu mir und du fragst, was wir gegen die AfD noch tun können. Manchmal antworte ich was ich weiß und manchmal weiß ich es nicht. Ich versuche zuzuhören, dich nach deiner und damit meiner Geschichte zu befragen, in deinen Erinnerungen zu kramen, zu hören wie es für dich als Mädchen war und dass es nicht immer wie heute war.

Und jetzt ziehst du aus, aus diesem Haus, das dir siebzig Jahre Zuflucht war. Damit reißen auch meine Erinnerungen ein und auch für mich geht diese Zuflucht zu Ende, ohne dass es jemals für mich war, wie es für dich gewesen ist. Auch wenn der Garten geht, bleiben uns die Streusel, die Möhren, die Nüsse.

Ganz allein hast du entschieden in ein Heim zu gehen. Still. Ohne dich zu beraten. Ohne die Entscheidung an andere abzugeben. Denn du hast immer entschieden, wen du einlädst und über was wir sprechen. Was du tust, wohin du vereist und dass du anderen hilfst. Du hast nur nicht darüber gesprochen. Weil du mich eher riechen, fühlen und schmecken als hören und sehen gelehrt hast.

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