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Endlich wieder Zaungäste

Durch den Rheinauhafen glitzert die Abendsonne. In ganz Köln lockt heute eine einzige Kulturveranstaltung. Short Story Night, fünf Kurzgeschichten, gelesen von echten Autor:innen, die mit dem Wind und der Mikrofoneinstellung kämpfen. Für alle ist der Ton etwas leise und niemand kann einfach für sich etwas lauter drehen. Eine von uns ruft schon bald laut LAUTER.

Fünfzehnt Euro Eintritt, negativer Corona-Test und festgelegte Sitzplätze, etwas der Tischbühne entrückt. Keine direkte Sicht ins Gesicht der Lesenden, der Blickwinkel eher von oben herab, auf den ganzen sprechenden Menschen, inklusive der Beine.

Die Sitzplätze sind auf steinernen Rängen markiert, zwei Polster pro Person. Die Ränge reichen zum Wasser hinab. Eine Sichtbetonwand fasst Ränge und Wasser ein. Niedrige Geländer trennen die Ränge von einem Weg entlang der Wand.

Unser Blick schweift noch durch den Raum, sieht Spaziergänger auf den Wegen entlang schlendern. Wir lauschen den Geschichten, sie genießen den Abend.

Während der ersten Kurzgeschichte bleiben Passant:innen länger stehen und spitzen die Ohren. Mit der zweiten Kurzgeschichte lassen sich außerhalb der Balustrade Hörer:innen nieder. Mittlerweile hört eine Mutter die restlichen Geschichten des Abends von außerhalb, stillt. Der Begleiter entpackt Getränke. Die beiden sind dabei. Ohne Eintrittsgeld, ohne markierten Sitzplatz, auf einem der Wege, die die Ränge einfassen. Vor der Balustrade haben sie Platz genommen, sehen durch das Geländer hindurch, lauschen dem über Lautsprecher übertragenen Ton.

Wir sitzen hier im Innen, auf markierten Sitzplätzen mit Test, mit Eintrittskarte, mit Zugang zur Bar. Wir sitzen im reinlichen Innen, dessen Hygieneregeln das Tragen einer Maske auf dem Weg zur Toilette vorschreiben. Sie sitzen im Außen auf dem harten Boden der Wirklichkeit, frei zu gehen und zu bewegen. Keine Hygieneregeln, keine Aufsicht, kein Eintrittsgeld.

Wenn wir genau hinsehen, dann fühlt es sich an, als streckten sie uns geradewegs die Zunge heraus: Unsere Festlegung auf den Termin, unseren Wunsch nach flauschig-weichen Sitzpolstern und unsere Eintrittsgelder verlachend. Wenn wir noch genauer hinsehen, dann bemerken wir diese Gelassenheit derer dort draußen. Zufrieden über den glücklichen Zufall, spontan einer Lesung beiwohnen zu können, voller Dankbarkeit gegenüber den Organisator:innen, ohne Erwartungen und Ansprüche.

Wie wir nach den Zaungästen lechzen, sie bewundern. Wie die Zaungäste uns provozieren. Wie die Zaungäste die Grenzen des Raums verschwimmen lassen. Wo Innen und Außen ist, wird diffus. Der Ton lässt sich nicht einfangen. Wie die Zaungäste in Frage stellen, was richtig und falsch ist, wie Teilhabe funktioniert.

An- oder abwesend, Getestet oder nicht getestet, bezahlt oder nicht bezahlt, stumm gestellt oder Kamera an. Zaungäste können einfach gehen, getestet sein, hinterher freiwillig spenden und ungefragt dazwischen quatschen. Ist die Zaungastschaft nicht Rebellion?

Rheinauhafen mit Bühne